Aufgezeichnete Musik macht nur einen kleinen Teil des musikalischen Kulturerbes aus. Viele Archivdokumente sprechen von schöner unveröffentlichter, unaufgeführter und bisher unbekannter Musik. In früheren Epochen hatten die Komponisten Sorgen, dass Musiker ihre Kompositionen auf verschiedene Weise interpretieren und aufführen könnten. Kritiker sahen in solchen Aufführungen keine kreative Möglichkeit für Musiker, ihr Improvisationstalent zu zeigen, sondern eine Einmischung der Interpreten in die Domäne der Komponisten. Es gab auch Angriffe auf die rohe und ausgelassene Musik einfacher Leute, die die heitere Existenz der kirchlichen und aristokratischen Musik jener Zeit bedrohte. Das erinnert sehr an spätere Angriffe auf den Jazz.
Zufälligerweise fiel das Aufkommen des Jazz mit dem Beginn des Schallplattenzeitalters zusammen. Infolgedessen war der Jazz die erste Musik, die nicht in Noten festgehalten wurde und trotzdem den nachfolgenden Generationen sicher weitergegeben werden konnte.
Viele der melodischen Phrasen und rhythmischen Figuren im Jazz haben ihren Ursprung in afroamerikanischer Musik wie Spirituals und Blues. Der moderne Jazz ist jedoch viel raffinierter und komplexer. Aus den einfachsten melodischen und rhythmischen Mustern entstehen abwechslungsreiche und komplexe Formen. Die Verflechtung und Interaktion melodischer Linien bilden schöne rhythmisch-melodische Strukturen, die in ihrer Tiefe und Schönheit überraschend und bewundernswert sind.
Anhand der Geschichte des Jazz lässt sich der Verlauf der historischen Entwicklung der Musik als Kunst nachvollziehen. Wenn man das Bild des Musiklebens in fernen Jahrhunderten rekonstruiert, kann man feststellen, dass sich diese Entwicklung ähnlich vollzog wie heute: Es entstand eine neue Musik, die den akademischen Musik- und Kulturtheoretikern schrecklich erschien. Gleichzeitig gab es denkende Komponisten, Musiker und Musikliebhaber, die die neue Musik doch lebendig und interessant fanden.
Auf der Bühne oder bei Aufnahmen ist die Improvisation eines der grundlegenden Elemente des Jazz. Der Prozess ähnelt der Entstehung von Musik anderer Genres. Das Komponieren selbst hat einen impliziten, aber wichtigen Platz im Jazz: Jede Improvisation entsteht zuerst im Kopf eines Jazzmusikers, bevor er die Improvisation öffentlich vorträgt.